Mediziner untersuchen Autovakzinierung

Selbst ist das Immunsystem

Mitschrift der Sendung vom 28.08.2003 im Deutschlandfunk

Sprecher: Die Behandlung von Infektionskrankheiten wird zunehmend schwieriger: Weil Antibiotika viel zu oft verordnet und häufig fehlerhaft eingenommen werden, treten weltweit immer mehr resistente Bakterien auf, gegen die bald selbst die neuesten Antibiotika wirkungslos sind. Es wird also dringend nach Alternativen gesucht, die Europäische Union will die Forschung auf diesem Gebiet in ihrem sechsten Forschungsrahmenprogramm besonders berücksichtigen. Am Hygieneinstitut der Universität Heidelberg untersuchen Wissenschaftler eine 100 Jahre alte alternative Infektionsbehandlung, die sogenannte Autovakzinierung.


Von Stefanie Seltmann; SWR Wissenschaftsredaktion



Seit drei Jahren erforscht Oliver Nolte die Autovakzinierung, was übersetzt nichts anderes als Eigen-Impfung bedeutet. Der Patient erhält dabei eine Injektion mit seinen eigenen Krankheitserregern, die nach einem Verfahren aufbereitet werden, das seit 100 Jahren mehr oder weniger unverändert ist.

Nolte: "Wir müssen aus dem Patienten den Erreger isolieren, ihn in Kultur nehmen und diese Kultur mit schonenden Verfahren abtöten. Diese abgetöteten Erreger, dieser Totimpfstoff, wird dann dem Patienten unter die Haut oder in die Haut gespritzt und zwar acht bis zehnmal im Abstand von einer Woche."


Etwa 150 solcher Autovakzinen hat Oliver Nolte bislang hergestellt und an niedergelassene Ärzte weitergereicht, in erster Linie für Patienten mit chronischen Infektionen wie der Furunkulose, bei der sich regelmäßig eitrige Abszesse unter der Haut bilden. Der Erreger dieser Geschwüre Staphylococcus aureus ist gefürchtet, weil er weltweit Resistenzen gegen fast alle gängigen Antibiotika zeigt. Gerade diese Anpassungsfähigkeit macht ihn andererseits zum idealen Kandidaten für die Autovakzine, erklärt Oliver Nolte:


"Dieser Erreger ist sehr, sehr variabel, sehr wandelbar, und das bedeutet, dass man im Prinzip zur Zeit nicht in der Lage ist, gegen alle Stämme bei allen Patienten einen Impfstoff zu entwickeln. Und aus diesem Grunde glauben wir dass wir mit der Autovakzine eine gute Behandlungsalternative zur Hand haben, weil wir immer den patienteneigenen Stamm einsetzen und damit die individuelle Eigenschaft des Erregers, den ein Patient mit sich trägt, berücksichtigen können."


Die Ergebnisse lassen sich sehen, die meisten Patienten sprechen auf die Behandlung an, vielfach sind bereits nach der letzten Impfung wesentlich weniger Abszesse zu beobachten oder gar keine mehr. Wie die Autovakzine das schafft, weiß Oliver Nolte auch nicht so genau, er vermutet, dass das Immunsystem gewissermaßen umprogrammiert wird, so dass es den Erreger nicht mehr nur in eitrigen Herden einkapselt, sondern vollständig eliminiert. Und damit eine langfristige Heilung erzielt wird.

Nolte: "Wir hoffen dass wir mit der Applikation der Autovakzine ein Gedächtnis im Immunsystem erreichen, ... und was wir noch untersuchen möchten ist, ob wir tatsächlich einen mehrjährigen Schutz vor Reinfektionen mit diesem Erreger erreichen können."


Einige der Patienten sind tatsächlich seit drei Jahren frei von Furunkeln, andere seit längerer Zeit frei von chronischen Harnwegsinfektionen. Von Erfolg will Nolte aber erst sprechen, wenn dieser Zustand mehr als fünf Jahre andauert. Überhaupt gibt sich Oliver Nolte sehr zurückhaltend bei der Beurteilung der Autovakzinierung: Denn er selbst hat noch zuwenig Patienten untersucht und aus der wissenschaftlichen Literatur wird er auch nicht recht schlau:


Nolte: "Entweder ist die Literatur relativ alt aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Ergebnisse sind dann nicht mehr überprüfbar oder nicht mit modernen Methoden entstanden. Das zweite Problem ist: Es gibt eine Reihe von Veröffentlichungen aus Osteuropa, da stellt sich nun leider das Problem, dass ich nicht über genügend Sprachkenntnisse verfüge, um diese Literatur dann kritisch zu lesen."


In Polen, Russland oder Ungarn wird die Autovakzine noch regelmäßig und mit angeblich großem Erfolg angewendet, und zwar nicht nur im humanmedizinischen Bereich, sondern auch im Stall: Sowohl Lungenentzündungen beim Pferd als auch Euter- oder Gebärmutterentzündungen beim Rind treffen häufig den gesamten Bestand. Da lohnt sich die Herstellung einer großen gemeinsamen Vakzine, denn normalerweise sind alle Tiere mit dem selben Keim infiziert. Oliver Nolte legt daher auch deutschen Tierärzten diese alternative Behandlungsmethode ans Herz:


Nolte: "Wobei in der Veterinärmedizin nicht allein der klinische Erfolg ausschlaggebend ist sondern hier muss man ganz klar sagen, dass durch die Anwendung der Autovakzine als Alternative zu den Antibiotika auch ein Einspareffekt bei den Antibiotika erreicht wird, der dazu führt, dass die Gefahr der Resistenzentwicklung verringert wird und vor allem dadurch die Lebensmittel weniger mit Antibiotika belastet werden, da haben wir also mehrere positive Effekte."


Dass die Pharmaindustrie den zunehmenden Antibiotika-Resistenzen durch Neuentwicklungen begegnet, braucht man nicht zu hoffen: Die hat nämlich Angst, dass sich auch gegen einen neuen Wirkstoff so schnell Resistenzen bilden würden, dass die hohen Entwicklungskosten nicht gedeckt wären. Von daher lohnt sich also der Verzicht auf Antibiotika, wo immer er möglich ist, und der Blick zurück auf eine fast vergessene Alternative.