Autogene Produkte in der Veterinärmedizin
Zusammenfassung: Dr. Oliver Nolte, Hygiene-Institut Heidelberg, 4. Januar 2004
Version 1.1 vom 27.01.2004
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Autogene Produkte zur Therapie oder Prophylaxe von Infektionskrankheiten in der Veterinärmedizin repräsentieren Produkte, die als Alternative zu Antibiotika Verwendung finden können und damit sowohl für den Tierhalter als auch für das betroffene Tier selbst von Vorteil sein können. Unter dem Begriff „autogene Produkte“ in der Veterinärmedizin werden die folgenden therapeutischen Immunprodukte zusammengefasst:
(1) Inaktivierte Vakzinen welche zur Prophylaxe bzw. zum Schutz von Beständen, Herden oder Gruppen von Tieren eingesetzt werden sobald in der betreffenden Population das Auftreten eines bestimmten Infektionserregers erkannt worden ist,
(2) inaktivierte Vakzinen welche zur Therapie von Beständen, Herden oder Gruppen von Tieren („Herden-spezifische“ Autovakzinen) eingesetzt werden, wenn in der betreffenden Population bereits ein Problem durch einen Infektionserreger vorliegt und bereits ein Teil der Tiere dieser Population durch den Erreger erkrankt sind,
(3) inaktivierte Vakzinen wie unter Punkt (2) beschrieben jedoch bezogen auf einzelne Tiere (individuelle Tiere, „Individuen-spezifische“ Autovakzinen)
(4) Immunmodulatoren, Moleküle oder Präparationen welche eingesetzt werden um das Immunsystem betroffener Tiere (positiv) zu modulieren.
Autogene Produkte können Extrakte von Bakterienkulturen, abgetötete Bakterien (sogenannten whole cells) eines Erregerstamms oder eine Mischung abgetöteter Bakterien verschiedener, häufig bei Infektionen gefundener Stämme sein (sogenannte Bacterine). Als Konservierungsstoffe wird Formaldehyd (i.d.R. <0,05% vol/vol, Endkonzentration) eingesetzt. Gelegentlich werden auch andere Konservierungsstoffe oder gar keine Konservierungsstoffe eingesetzt.
Mit der Erforschung autogener Produkte befasst sich das EURO-ATVo:CARD Konsortium. Kernaktivität des Konsortium ist die wissenschaftliche Arbeit mit Bestand-spezifischen und Individuen-spezifischen Autovakzinen. Deren wesentliches und wichtigstes Charakteristikum ist, dass es sich um maßgeschneiderte, therapeutische Impfstoffe handelt. Die Herstellung der jeweiligen Impfstoffe erfolgt auf Anforderung eines Tierarztes. Hierzu wird vom Tierarzt Untersuchungsmaterial für die Erregerisolierung eingesandt. Der isolierte Erreger bildet die Grundlage für die Vakzinherstellung.
Indikationen
Die Verwendung autogener Produkte in der Veterinärmedizin ist indiziert in Fällen wo
(a) kommerzielle Impfstoffe oder kommerzielle therapeutische Impfstoffe dringend benötigt werden aber nicht erhältlich sind,
(b) ein kommerzielles bzw. lizensiertes Produkt zwar erhältlich aber nicht von genügend hoher klinischer/therapeutischer Effizienz ist (Tierzüchter bewegen sich oft in sehr engen Profitgrenzen, die Behandlung bzw. Prophylaxe sollte daher nicht nur gut verträglich Tierschutz! sondern auch Kosteneffektiv sein),
(c) eine Prophylaxe oder eine Behandlung auf nicht antimikrobieller Basis notwendig wäre, die entsprechende Erkrankung aber durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erreger verursacht wird (Beispiel Mastitis in Milchvieh [Milchkühe, Ziegen, Schafe]: man kennt mehr als 130 verschiedene Erreger, die mit dem Auftreten einer Mastitis assoziiert sein können).
(d) Infektionskrankheiten auftreten, für deren Behandlung oder Prophylaxe bisher noch keine Impfstoffe verfügbar sind,
(e) Krankheiten ausgelöst werden durch Infektionserreger, die eine hohe genetische Variabilität aufweisen bzw. von denen bekannt ist, dass sie einem schnellen Antigen-shift/drift unterliegen (wodurch die Entwicklung konventioneller Impfstoffe wesentlich erschwert wird).
Gründe für das Fehlen kommerzieller bzw. lizensierter Produkte (Impfstoffe zur Prophylaxe) können darin liegen, dass das „Produkt“ für den Entwickler nur geringe bzw. nicht befriedigende Gewinnaussichten erzielt (die Entwicklung neuer Impfstoffe kann mehr als 8 Jahre dauern und dabei Investitionen in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro erfordern!). Dies ist insbesondere der Fall in der Entwicklung von Impfstoffen, die eher für den Bereich der Minor Indications/Minor Species (MIMS) vorgesehen sind. Weiterhin kann eine hohe genetische Variabilität der Erreger, gegen die ein Impfstoff benötigt wird, die Entwicklung verzögern oder ganz unmöglich machen (siehe oben).
Autogene Produkte bzw. autogene Vakzinen (Autovakzinen) stellen immer noch Nischenmärkte dar, wenn auch mit deutlichen Wachstumsraten in den nächsten Jahren zu rechnen ist. In den USA waren im Jahr 2002 nur ca. 0,2% (entspricht 120 Millionen Impfdosen) aller verabreichter Impfstoffdosen Autovakzinen bzw. autogene Produkte. Hier werden jedoch von Experten in den kommenden Jahren Wachstumspotentiale im Bereich von 10% p.a. gesehen.
Produkte und Firmen
In den USA sind momentan mehr als 50 autogene Produkte lizensiert. Die Herstellung und das Marketing laufen über mehr als 20 Firmen. Eine Liste der in Canada lizensierten Autovakzinen/autogene Produkte ist unter dem link (http://www.inspection.gc.ca/english/anima/vetbio/prod/autaute.shtml) einzusehen.
Der jährliche Umsatz mittels autogener Produkte liegt, wiederum bezogen auf die USA, und hier nur für Impfung von Schweinen, bei etwa 17 Millionen US$. In Frankreich werden zur Zeit jährlich etwa 3 Millionen Euro mit Autovakzinen umgesetzt. Unten stehend ist eine Auflistung einer Auswahl von Firmen, die sich mit der Herstellung, der Entwicklung und dem Vertrieb von autogenen Produkten befassen (Autovakzinen, Bacterine, etc.).
Tabelle: Auswahl von Firmen, die autogene Produkte entwickeln, herstellen und/oder vermarkten:
Vorteile von Autogenen Produkten und Autovakzinen:
- Alternative zu Antibiotika, daher für ökologische Tierhalter besonders gut geeignet,
- schnelle Verfügbarkeit gegenüber bis zu 10 jähriger Entwicklungszeit von „regulären“ Vakzinen
- Flexibilität in Reaktion auf antigenetische Variation bei target Organismen
- oftmals preiswerter oder kosteneffektiver als „normale“ Impfstoffe
Nachteile:
- begrenzte Verteilung und begrenzter Markt
- nur wenige wissenschaftliche Daten verfügbar
- nicht standardisiert, Antigenkonzentrationen können zwischen unterschiedlichen Chargen schwanken,
- wissenschaftlich noch kaum erforscht, daher mangelnde Akzeptanz
- praktisch keine einheitlichen EU-Regeln für Herstellung und Anwendung bzw. Inverkehrbringung (dies gilt insbesondere für die Autovakzinen).
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